Ich fuhr den Sunset Boulevard ostwärts runter, aber nicht ins Hotel. Auf La Brea bog ich Richtung Norden ab und schwang mich über die Hügel, den Cahuenga Pass hoch, Ventura Boulevard runter, an Studio City und Sherman Oaks und Encino vorbei. Nichts an dem Trip war einsam. Ist bei dieser Route nie der Fall. Schnelle Jungs in aufgemotzten Fords schossen aus dem Verkehrsstrom rein und raus, Stoßstangen um Millimeter verfehlend, irgendwie aber immer verfehlend. Müde Männer in staubigen Coupés und Limousinen winselten und festigten ihren Griff ums Lenkrad und bahnten sich weiter Richtung Norden und Westen, Heim und Abendessen entgegen, einem Abend mit Video und TV, dem Geschrei ihrer verwöhnten Kinder und dem Zetern ihrer dämlichen Frauen. Ich fuhr weiter, an den protzigen Neonlichtern und den falschen Fassaden vorbei, den schmierigen Hamburgerläden, die unter ihren schillernden Farben aussehen wie Paläste, vorbei an den runden Drive-Ins, mit ihren kühlen Kellnerinnen, zwitschernd und locker-flockig wie im Zirkus, vorbei an den brillanten Kassen und den verschwitzten, ranzigen Küchen, in denen sich eine Kröte vergiften würde. Riesige Sattelschlepper ratterten über Sepulveda, von Wilmington und San Pedro, auf dem Weg Richtung Ridge Route, an den Ampeln langsam raunend. Wie das Brüllen von Löwen im Zoo.
 
  Hinter Encino blitzte ein Scheinwerfer hier, ein Scheinwerfer dort, durch die dicken Bäume der Hügel. Häuser von Filmstars. Filmstars, wow. Die Veteranen von tausend Betten. Aufgepaßt, Niet, das hier ist nicht deine Nacht.
 
  Die Luft wurde kühler, der Highway schmäler. Es waren jetzt so wenige Autos, daß das Licht der Scheinwerfer blendete. Entlang Wänden aus Kreidefels stieg die Straße an, und auf dem Gipfel tänzelte eine Brise, frisch und pur vom Ozean, sanft durch die Nacht.
 
  In einem Diner in der Nähe von Thousand Oaks aß ich Abendbrot. Schlecht aber schnell. Essen fassen, dann raus hier. Viel zu tun. Einen wie dich, der ewig an seinem zweiten Kaffee nuckelt, können wir hier nicht gebrauchen, Mann. Das ist ein teurer Platz, den du blockierst. Siehst du die Leute da, in der Schlange? Die wollen essen. Egal, sie glauben, daß sie es müssen. Weiß der Teufel, wieso sie meinen, sie müßten ausgerechnet hier essen. Zuhause, aus der Dose, wären sie besser bedient. Sie sind einfach rastlos. Wie du. Die müssen das Auto rausholen und wo hinfahren. Köder für die Macker, die die Restaurants übernommen haben. Here we go again:
 
Das hier ist nicht deine Nacht, Niet.
 
  Ich zahlte und ging kurz in eine Bar, um einen Brandy über den New York cut zu legen. Warum New York, dachte ich. Es ist doch Detroit, wo sie Maschinenteile herstellen. Ich ging raus in die Nachtluft, von der noch niemand herausgefunden hatte, wie damit umzugehen war. Viele Leute versuchten sich wahrscheinlich schon daran. Sie würden den richtigen Dreh schon noch lernen.
 
  Ich fuhr weiter bis zur Oxnard-Ausfahrt und fuhr den Ozean entlang zurück. Die großen Vierachser und Achtachser dampften in den Norden, alle mit orange Lichtern zugehängt. Und rechts schleppt sich der Pazifik ans Ufer wie eine Putzfrau nach Hause. Kein Mond, kein Firlefanz, kaum ein Geräusch von den Wellen. Kein Geruch. Nichts von dem würzigen, wilden Geruch des Meeres. Ein kalifornischer Ozean. Kalifornien, der Supermarkt-Bundesstaat. Das meiste von allem und das beste von nichts. Here we go again: Das hier ist nicht deine Nacht, Niet.
 
  In Ordnung. Warum sollte sie es sein? Ich sitze hinter einer Bühne, spiele mit einer toten Fliege, und dann kommt diese verschlampte Gestalt aus Frankfort/Kentucky angeschneit und will, daß ich ihren Bruder suche. Er scheint ein Schlappschwanz zu sein, sie will ihn aber finden. Mit diesem Schatz am Herzen mache ich mich also auf nach Bay City, und die Routine, durch die ich mich schleife, ist so übermüdet, daß mir der Fuß im Gesicht einschläft. Ich treffe nette Leute, mit und ohne Eishacken im Hals. Ich verlasse die Szene und bin verlassen. Dann kommt sie rein und nimmt mir meinen Zwanziger weg und gibt mir einen Kuß und gibt ihn mir zurück weil ich nicht die Arbeit für einen ganzen Tag geleistet habe.
 
  Also gehe ich los und suche Dr. Hambleton auf, Optometrist im Ruhestand (und wie) aus El Centro, und treffe wieder auf den neuen Halsbekleidungsstil. Und ich erzähle es nicht den Cops. Ich schnüffel einfach unterm Toupet des Kunden (könnte Schnüffeln im Wachsfigurenkabinett werden) und stelle mich doof. Warum? Für wen schneide ich mir diesmal die Kehle durch? Eine Blonde mit sexy Augen und zu vielen Schlüsseln? Ein Mädchen aus Frankfort, Kentucky? Ich weiß nicht. Alles, was ich weiß, ist, daß etwas nicht so ist, wie es zu sein scheint, und der alte, müde, aber immer zuverlässige Schimmer sagt mir, wenn die Partie so gespielt wird, wie sie ausgeteilt wurde, dann wird der Verkehrte den Pott verlieren. Ist das mein Business? Was ist überhaupt mein Business? Interessiert mich das? Was interessiert mich überhaupt? Weiß ich es? Wußte ich es jemals? Lassen wir das lieber aus. Heute ist nicht dein Tag, Niet. War es vielleicht noch nie, wird es vielleicht nie sein. Vielleicht bin ich ein Ektoplasma mit Bass. Vielleicht ergeht es uns allen so, in einer kalten, halb-beleuchteten Welt, in der immer das falsche passiert und nie das richtige.
 
  Malibu. Noch mehr Filmstars. Noch mehr Badewannen in pink und blau. Noch mehr Himmelsbetten. Noch mehr Chanel No. 5. Noch mehr Lincoln Continentals und Cadillacs. Noch mehr Föhnfrisuren und Sonnenbrillen und attitudes und pseudo-trainierte Stimmen und Hafen-Moral. Moment, kleinen Moment mal. Viele nette Leute arbeiten im Filmgeschäft. Du hast die verkehrte Einstellung, Niet. Das hier ist nicht dein Tag heute nacht.
 
  Ich konnte Los Angeles riechen, noch bevor ich ankam. Es roch schimmelig und alt wie ein Wohnzimmer, das zu lange nicht gelüftet worden ist. Aber die Farben haben dich hinters Licht geführt. Die Lichter waren wundervoll. Dem Mann, der Neonlichter erfunden hat, sollte man ein Monument setzen. Fünfzehn Stockwerke hoch, aus solidem Marmor. Da haben wir mal einen, der aus nichts etwas gemacht hat.
 
  Also ging ich, mir einen Kinofilm ansehen, und der mußte natürlich mit Marsha sein. Eine dieser Glas- und Chrom-Geschichtchen, wo jeder zu viel lächelt und zu viel redet und sich dessen bewußt ist. Die Frauen gingen immer eine lange Wendeltreppe hoch, um ihre Garderobe zu wechseln. Die Männer nahmen immer monogrammierte Zigaretten aus teuren Etuis und zündeten sie sich gegenseitig mit teuren Feuerzeugen an. Und der Diener hatte schon ganz runde Schultern, weil er ständig mit Drinks beladene Tabletts über die Terasse zum Swimmingpool, so groß wie Lake Huron, nur viel feiner, trug.
 
  Der männliche Hauptdarsteller war eine liebenswerte Pflaume mit viel Charme, die an den Rändern schon vergilbte. Star war eine miesgelaunte Brünette mit abfälligem Blick. Einige schlechte close ups zeigten, daß sie im Rückwärtsgang auf die fünfundvierzig ging, und zwar so mächtig, daß es einem das Handgelenk hätte brechen können. Marsha spielte die zweite Hauptrolle, wobei sie es war, die ganz klar die Stiefel anhatte. Sie war gut, aber sie hätte zehnmal besser sein können. Wenn sie aber zehnmal besser gewesen wäre, hätte man die Hälfte ihrer Szenen rausgerissen, um den Star zu retten. Sie balancierte auf einem Seil, so prächtig, wie ich es selten sonst gesehen habe. Nun, in Zukunft ist es nicht mehr ein Seil, auf dem sie tänzeln wird. Es wird eine Klaviersaite sein. Hoch, sehr hoch. Und darunter wird kein Netz sein.